Kirchentag Nürnberg 2023

Die Aktionen der DFG-VK am evangelischen Kirchentag 2023 in Nürnberg

Die Aktionen der DFG-VK (Bayern) am Evangelischen Kirchentag 2023 in Nürnberg haben Wellen geschlagen. Das Interesse unter den Kirchentagsbesucher*innen an pazifistischen Positionen war groß und die Presseresonanz, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, war die größte, die eine Aktion der DFG-VK Bayern seit Beginn des Ukraine-Krieges erzielen konnte. Das lag unter anderem an der polarisierten Stimmung am Kirchentag (und in der Bevölkerung insgesamt), der Präsenz prominenter Regierungsvertreter*innen sowie der medienwirksamen Aktionen der DFG-VK selbst.

Der gesamte Kirchentag stand unter dem Vorzeichen der Debatte um Waffenlieferungen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat die evangelische Kirchenprominenz in Deutschland die Kriegslogik der Bundesregierung fast vollständig verinnerlicht und befürwortet öffentlich Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet. So charakterisiert Annette Kurschus, die Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Waffenlieferungen als “unvermeidlich” und als “Nothilfe”. 

Der Präsidiumsvorstand des Kirchentages erklärte: “Wir sind ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine.” An anderer Stelle erläuterte Kirchentagspräsident Thomas de Maizière (auch bekannt als ehemaliger Verteidigungsminister), was das für ihn bedeutet: “Zu Recht erwarten die Menschen in der Ukraine die fortwährende Unterstützung ihres Kampfes durch […] Waffenlieferungen und militärische Kooperation.” (Eine Sammlung mit relevanten Zitaten findet sich hier.)

Die Podien auf dem Kirchentag waren derweil vollgestopft mit Regierungsvertreter*innen, inklusive Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck, dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sowie diversen anderen Kriegstreiber*innen, z.B. Politikwissenschaftler Prof. Dr. Herfried Münkler, der gerne mit dem Kampfbegriff “Unterwerfungspazifismus” um sich schmeißt.

Nur wenige führende Stimmen in der evangelischen Kirche sprechen sich noch für Gewaltfreiheit und gegen Waffenlieferungen aus. Einer davon ist der Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Friedrich Kramer: „Müssen wir nicht um der Gerechtigkeit und Nächstenliebe willen helfen? Das ist klar. Aber auch mit Waffen? Ich sage Nein.“ Eine andere Dissidentin ist Dr. Margot Käßmann, DFG-VK Mitglied und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende, die grundsätzlich erklärt: “Die Kirche irrt, wann immer sie Gewalt legitimiert.”

Auf dem Kirchentag war zumindest Bischof Friedrich Kramer präsent; Frau Dr. Margot Käßmann konnte sich mit dem Kirchentagspräsidium nicht über die Bedingungen ihrer Teilnahme einigen.

Insgesamt spiegelten also weder die öffentlichen Positionen der prominenten Kirchenvertreter*innen, noch das Programm des Kirchentags, die Zerrissenheit der deutschen Bevölkerung – und damit höchstwahrscheinlich auch deutscher Evangelen und Kirchentagsbesucher*innen – wider. Immerhin gibt in Umfragen konstant mindestens ein Drittel der Befragten an, dass ihm Waffenlieferungen zu weit gingen oder es sie grundsätzlich ablehne.

Die Spannung am Kirchentag war also spürbar.

Ein Punkt, an dem sich die Spannung entladen hat, war der Infostand der DFG-VK Bayern vor dem Eingang zum Messegelände Nürnberg am 8. und 9. Juni 2023, wo die meisten großen Podiumsdiskussionen und der “Markt der Möglichkeiten” stattfanden. Aufgrund der günstigen Position des Infostands zwischen U-Bahn-Ausgang und Messe-Haupteingang strömten täglich zehntausende Kirchentagsbesucher*innen an dem Stand vorbei.

Der Infostand war nicht zu übersehen. Neben dem Infostand und dem Pavillion mit Transparenten, die beispielsweise “Würde Jesus in die Ukraine Waffen liefern?” und “Es gibt keinen gerechten Krieg” verkündeten, stand das Aufblasgewehr der DFG-VK, mit ca. 4m Höhe und 5m Breite.

Dementsprechend machten hunderte Menschen (schätzungsweise bis zu tausend Menschen) am Infostand Halt. Weitere zehntausende Menschen nahmen den Infostand zumindest zur Kenntnis und gingen entweder gleichgültig, fluchend oder lächelnd weiter.

Am Infostand konnten sich Interessierte mit Infomaterial der DFG-VK auseinandersetzen, vor allem mit drei Flugblättern, die eigens für den Kirchentag designt und gedruckt wurden: Das Flugblatt “Schwerter zu Pflugscharen”, eine Neuauflage der Friedenserklärung sowie die überarbeitete und aktuelle Version des Infomaterials “Bombenstimmung”.

Viele erklärten bedauernd (sinngemäß): “Eure Friedenserklärung hätte ich vor zwei Jahren sofort unterschrieben. Jetzt tue ich mir da schwer.” Diese Menschen erklärten oft, dass sie angesichts des Leides in der Ukraine, mit dem sie ständig konfrontiert seien, das unbedingte Bedürfnis verspüren, zu helfen. Sie schienen oft unglücklich mit der Hilfeleistung durch militärische Mittel, befanden sie aber dennoch als notwendig. Ihre Haltung war oft geprägt von Zweifeln und Widersprüchen.

Andere kamen an den Stand , um die Positionen der DFG-VK zu denunzieren oder Streitgespräch zu führen. Ihr Denken war oft geprägt von der Erzählung der “”Zeitenwende”, einem nie-dagewesenen Bruch mit dem Völkerrecht (höchstens zu vergleichen mit den Angriffskriegen Nazi-Deutschlands). Oft wurde auch argumentiert, dass als nächstes Deutschland überfallen würde, wenn diese Aggression nicht bestraft und eingedämmt werde. Diese Diskussionen waren oft lang, laut und unergiebig. Jesus Botschaft der Gewaltfreiheit war hier kein Thema.

Wiederum andere kamen offen und aufgeschlossen an den Stand oder bekannten sich als Pazifist*innen. Sie beklagten oft die regierungsnahe Position der Kirche und des Kirchentages. Über 200 Menschen unterschrieben die Friedenserklärung der DFG-VK. Die bunten Friedenserklärungen kamen zum Ende hin als optisches Aktionselement zum Einsatz und erregten einige Aufmerksamkeit.

Vor dem Infostand der DFG-VK Bayern fand indes eine spontane Protestkundgebung gegen die von den EU-Mitgliedsstaaten beschlossene Asylreform statt, organisiert von Pro Asyl und anderen Organisationen. Weil auch die DFG-VK Bayern für die Rechte von Geflüchteten einsteht (siehe, z.B., die Erklärung zum Ukraine-Krieg: “Wir setzen uns dafür ein, dass alle Flüchtlinge, egal aus welchen Regionen der Erde, Schutz und Zuflucht erhalten.”), schlossen sich Leute vom Infostand kurzerhand der Kundgebung an.

Abgesehen vom Infostand der DFG-VK Bayern gab es eine Protestaktion anlässlich des Militärgottesdienstes am Kirchentag sowie einen Infostand zum Thema Kirche und Militär am “Markt der Möglichkeiten”, organisiert von DFG-VK Mitglied Pfarrer Rainer Schmid. Auch diese beiden Aktionen waren überaus medienwirksam.

Zum Abschluss nahm die DFG-VK an der Kundgebung und Demonstration “Jetzt ist die Zeit für Frieden” teil, primär organisiert vom Friedensforum Nürnberg. Auf der Kundgebung sprachen Michael Käser vom Friedensforum Nürnberg (Vikar in Fürberg bei Fürth), Jacqueline Andres von IMI sowie der oben genannte Bischof Friedrich Kramer. Der Demozug umfasste mehrere hundert Menschen und zog einmal quer durch die Nürnberger Innenstadt.

Insgesamt waren die Aktionen der Friedensbewegung, insbesondere die der DFG-VK, am Kirchentag nicht zu übersehen. Anhand der starken Reaktionen der Kirchentagsbesucher*innen war zu erkennen, dass das Thema Gewaltfreiheit – und Waffenlieferungen im Speziellen – auf dem Kirchentag einen Nerv getroffen hat. 

Dementsprechend umfangreich fiel die Presseberichterstattung aus. Wie üblich wurden inhaltliche Themen in der Presse meist ausgeklammert. Tendenziell wurde meist nur darüber berichtet, ob und wie viel Zuspruch pazifistische Positionen auf dem Kirchentag erhielten, nicht darüber, was diese Positionen denn sind oder wie sie begründet werden. (Eine Zusammenstellung von Presseberichten findet sich hier. Zwei Pressemitteilungen der DFG-VK finden sich hier und hier.)

Eine Ausnahme war die vom Bayerischen Rundfunk übertragene Debatte zwischen dem bayerischen Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm und oben genanntem Friedensaktivist Michael Käser, in der es auch inhaltlich zur Sache ging. 

Insgesamt waren die Aktionen am Kirchentag ein voller Erfolg.