Kommentar zum „Pager-Beschluss“

Kommentar von Julian Mühlfellner (DFG-VK München) zum Beschluss des DFG-VK Bundeskongresses vom 6. Oktober 2024 zur “Verurteilung des Terror-Angriffs des israelischen Geheimdienstes”

Für die DFG-VK gibt es genügend Gründe, die Kriegsführung Israels sowie aller anderen Konflikt-/Kriegsparteien im “Nahen Osten” lautstark zu kritisieren und zu verurteilen. Doch wenn wir das tun, müssen wir sicherstellen, dass unsere Kommunikation unseren Grundwerten entspricht und für Außenstehende klar und verständlich ist.

Der Beschluss des Bundeskongresses der DFG-VK vom 6. Oktober 2024 zur “Verurteilung des Terror-Angriffs des israelischen Geheimdienstes” wird diesen Ansprüchen nicht gerecht. Im Beschluss fehlt eine Einordnung der im Beschluss ausgedrückten Verurteilung in den Kontext des Krieges sowie in die politische Arbeit der DFG-VK; das gilt insbesondere für die im Text hervorgehobene Verurteilung der israelischen Kriegsführung. Des Weiteren ist die Begründung der Verurteilung nicht überzeugend, weder aus radikalpazifistischer noch aus völkerrechtlicher Sicht.

Aus diesem Grund habe ich gegen den Antrag gestimmt und möchte ihn auch öffentlich kritisieren.

Der Beschluss

Am Sonntag, den 6. Oktober 2024, wurde der Initiativantrag “Verurteilung des Terror-Angriffs des israelischen Geheimdienstes”, initiiert von 20 Delegierten aus verschiedenen Landesverbänden und Ortsgruppen der DFG-VK, mit großer Mehrheit der ca. 110 auf dem DFG-VK-Bundeskongress anwesenden Delegierten verabschiedet.

Während in dem Beschluss militärische Aktionen verschiedener Akteure verurteilt wurden, wurden die Explosionen von Pagern und Walkie Talkies, die von der libanesischen Miliz Hisbollah eingesetzt wurden und mutmaßlich vom israelischen Geheimdienst am 17. und 18. September 2024 zur Explosion gebracht wurden, besonders hervorgehoben.

Zuvor wurden die Diskussion und die Einbringung von Änderungsanträgen bzgl. dieses Antrags (und anderer Anträge) auf eine Art und Weise beschränkt, die der Satzung und Geschäftsordnung der DFG-VK eventuell nicht in Wort und/oder Geist entsprach; doch diese Beurteilung der Satzungskonformität des Zustandekommens des Beschlusses sei hier vorerst dahingestellt. Es folgt eine inhaltliche Kritik.

Die politische Einordnung

Der Bundeskongress, das höchste Gremium der DFG-VK, tagt nur einmal alle zwei Jahre. Beschlüssen dieses Gremiums kommt somit ein besonderes politisches Gewicht zu. Dementsprechend gut eingeordnet in die Arbeit der DFG-VK sollten die Beschlüsse sein, insbesondere dann, wenn sie zur Veröffentlichung bestimmt sind und Außenwirkung entfalten sollen. 

Der o.g. Beschluss zur “Verurteilung des Terror-Angriffs des israelischen Geheimdienstes”, der einzige Beschluss des Bundeskongresses 2024 dieser Art, wird jedoch kaum eingeordnet – weder in den Kontext des Krieges, noch in die Arbeit der DFG-VK. Warum wird diese Kriegshandlung im Speziellen hervorgehoben und verurteilt? Wie verhält sich diese Verurteilung zu anderen Stellungnahmen der DFG-VK zum Krieg/den Kriegen in Nahost?

Der Text liefert dafür keine zufriedenstellende Einordnung. Im Text werden zwar auch gewisse Aktionen anderer Akteure verurteilt (Raketenangriffe Irans und der Hisbollah auf Israel), aber der Fokus liegt klar auf dem Pager-Anschlag (sowohl in der Überschrift als auch im Text). Dass dieser Fokus nicht erklärt wird, öffnet Raum für Spekulationen über die Intention des Textes und für Vorwürfe bzgl. Einseitigkeit, Unausgewogenheit oder Voreingenommenheit. Da die Verurteilung insbesondere israelische (bzw. wahrscheinlich mehrheitlich/ausschließlich jüdisch “gelesene”) Akteure betrifft, fehlt hier nur ein kleiner Schritt zum Vorwurf des Antisemitismus – der ausschließlich auf Basis des Textes nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen wäre.

Das bedeutet nicht, dass es für die DFG-VK nicht unter Umständen angemessen wäre, besonderen Fokus auf israelische Kriegsführung zu legen – z.B. mit Verweis auf die besondere Unterstützung der Regierung Deutschlands für die Regierung Israels, die in der gleichen Weise keiner der anderen Konflikt-/Kriegsparteien zukommt, oder mit Verweis auf signifikante Alleinstellungsmerkmale der israelischen Kriegsführung. Doch keine solche Einordnung wird hier geliefert.

Die Begründung

Nicht nur fehlt die politische Einordnung des Beschlusses, auch die inhaltliche Begründung des Beschlusses überzeugt nicht.

Zur Begründung der Verurteilung hervorgehoben werden im Beschluss die Heimtücke, Perfidie und Wahllosigkeit der Pager-Anschläge.

Diese Begriffe mögen hilfreich sein, um Kriegsführung und ihre Auswirkungen nach außen hin zu beschreiben, aber als Kriterien für die Beurteilung/Verurteilung einer militärischen Aktion sind sie m.E. ungeeignet für die DFG-VK – oder zumindest für die Radikalpazifist*innen in der DFG-VK. 

Heimtücke und Perfidie sind Begriffe aus dem Völkerrecht, welches die Möglichkeit der humanitären, sauberen, gerechten Kriegsführung einräumt. Doch für die Radikalpazifist*innen in der DFG-VK gibt es keinen gerechten Krieg – egal wie präzise und völkerrechtskonform die Kriegsführung abläuft. Zumindest schreiben wir diese Behauptung fett auf unsere Banner, Websites, etc. Indem wir die Kriterien des gerechten Krieges als Basis für unsere Bewertung der Kriegsführung einführen, schwächen wir unsere eigene radikale Position.

Doch selbst wenn man die Anwendung dieser Begriffe aus dem Völkerrecht als analytische Kriterien akzeptiert, sind sie hier nicht zutreffend. 

Vorab ein Vorbehalt: weder die Initiator*innen des Antrags, noch die allermeisten Delegierten des DFG-VK Bundeskongresses, die für den Antrag gestimmt haben, sind Völkerrechtler*innen – und ich bin ebenfalls keiner (auch deshalb ist diese Art des Diskurses nicht gut geeignet für die DFG-VK). Insofern wirken die nachfolgenden Ausführungen aus rechtswissenschaftlicher Sicht evtl. unausgegoren; sie entsprechen meinem laienhaften Verständnis der Sach- und Rechtslage.

Der Begriff “Heimtücke”, wird im Text nicht explizit als völkerrechtlicher Begriff eingeordnet – dass er als solcher verstanden werden soll, ergab sich nur aus Erklärungen der Initiator*innen im persönlichen Gespräch. Das alleine ist schon problematisch und in diesem speziellen Kontext inakzeptabel – da wir wissen, dass der Vorwurf der Heimtücke gegenüber Juden und Jüdinnen einem jahrhundertealten antisemitischen Klischee entspricht. Im Text wird dieser Vorwurf gegen den israelischen Geheimdienst erhoben. Es ist zwar richtig und wichtig, zwischen “Israelis” (bzw. israelischen Organisationen) und “Jüdinnen und Juden” zu unterscheiden; da diese Unterscheidung aber im oft verkürzten öffentlichen Diskurs typischerweise untergeht, ist es für eine Öffentlichkeitsarbeit geboten, auch pauschale Aussagen über “Israelis” auf Konnotationen von Antisemitismus zu überprüfen (insbesondere, wenn es wahrscheinlich ist, dass die betreffenden Akteure mehrheitlich/ausschließlich jüdisch “gelesene” Personen sind).

Doch selbst wenn der Vorwurf der “Heimtücke” explizit von seiner historischen Konnotation abgegrenzt und als völkerrechtlich eingeordnet worden wäre, so ist er immer noch unzutreffend. “Heimtückisch sind Handlungen, die die Gegenpartei zur irrtümlichen Annahme einer völkerrechtlichen Schutzlage verleiten” (laut Handbuch Humanitäres Völkerrecht des Bundesministeriums für Verteidigung, Seite 63). Das scheint hier nicht der Fall zu sein. Die Hisbollah-Funktionäre und -Kämpfer, die die Pager beschafft bzw. benutzt haben, hatten keinen Grund zu der Annahme, dass ihre Pager einer völkerrechtlichen Schutzlage unterlagen – insbesondere deshalb nicht, da sie die Pager/Walkie Talkies u.a. zu (para)militärischen Zwecken genutzt haben. Insofern handelt es sich bei den Pagern/WalkieTalkies auch nicht um eindeutig “zivile” Güter, sondern eher um “dual-use” Güter.

Inakzeptabel ist auch folgende Formulierung aus dem Text: “Besonders perfide war die Programmierung der Pager, die vor ihrer Explosion mehrmals piepsten, was insbesondere Kinder zum Aufheben der Geräte animierte.”

Auch dieser Begriff wird nicht als völkerrechtlicher Begriff eingeordnet – und erinnert damit wiederum an antisemitische Klischees (vgl. Ritualmordlegende).

Doch auch bei völkerrechtlicher Einordnung: “Perfidie” dient im Völkerrecht m.E. schlicht als Synonym für “Heimtücke”, Definition s.o., und ist in diesem Fall dementsprechend ebenfalls unangebracht.

Damit hören die Probleme dieser Formulierung jedoch nicht auf. Mit der Formulierung wird suggeriert, dass der israelische Geheimdienst absichtlich (denn Perfidie kann nur absichtlich angewandt werden) die Sprengfallen in einer Art und Weise designt hätte, die zum Tod oder zur Verletzung von Kindern führen sollte. Wahrscheinlich ist, dass der israelische Geheimdienst mit den Sprengfallen Hisbollah-Funktionäre und -Kämpfer töten oder verletzen wollte. Wahrscheinlich ist, dass der israelische Geheimdienst damit auch die Tötung oder Verletzung anderer Personen, inklusive Kinder, billigend in Kauf nahm. Doch es gibt keinen Grund zur Annahme, dass hier Kinder im Speziellen getötet oder verletzt werden sollten.

Das macht die Verletzung und Tötung von Kindern nicht weniger tragisch oder verurteilenswert. Doch in diesem Fall verurteilt werden muss die billigende Hinnahme ihrer Verletzung und Tötung – nicht die absichtliche oder gezielte Verletzung und Tötung.

Daran anknüpfend ist auch der Vorwurf der Wahllosigkeit zu kritisieren. Gemäß der bisher öffentlich gewordenen Erkenntnissen scheint es so, als wären primär oder ausschließlich Pager (und Walkie Talkies) betroffen gewesen, die von der Hisbollah eingesetzt wurden. Sicherlich wäre nach Völkerrecht auch innerhalb der Hisbollah zwischen aktiven Kombattanten und Nicht-Kombattanten zu unterscheiden gewesen. Aber vollkommen wahllos waren die Anschläge offensichtlich nicht.

Das sind einige der schwerwiegendsten sprachlichen und analytischen Verfehlungen, die im Text zu finden sind. (Zudem klingt bspw. die Warnung vor der Gefährdung des “brüchigen Frieden[s] in der Region” wie Hohn angesichts der jüngst weitverbreiteten (para)militärischen und terroristischen Gewalt in Libanon, Syrien, Irak, Iran, Israel, Palästina, Jordanien, Jemen – nichts davon entspricht dem Verständnis von Frieden, das die DFG-VK propagieren sollte).

Fazit

Dem Beschluss fehlt eine angemessene Einordnung in den Kontext des Krieges sowie in die politische Arbeit der DFG-VK. Weiterhin erscheint die Begründung der Verurteilung, die im Beschluss ausgedrückt wird, weder aus radikalpazifistischer noch aus völkerrechtlicher Perspektive überzeugend. Der Beschluss entspricht somit nicht unseren Grundwerten und stellt keine klare und verständliche Kommunikation nach außen dar.

Ich möchte ausdrücklich hinzufügen, dass ich überzeugt bin, dass die Initiator*innen sowie die Unterstützer*innen des Antrags (sofern sie mir hinreichend bekannt sind, dass ich eine Aussage machen kann) keinerlei antisemitische Beweggründe hatten und haben. 

Damit jedoch nach außen hin nicht der Eindruck entsteht, dass dies der Fall sein könnte – wie es hier wohl geschehen ist – müssen wir dringend und gründlich an unseren Standards arbeiten, insbesondere hinsichtlich sprachlicher Präzision, analytischer Sorgfalt, Medienkompetenz sowie professioneller und demokratischer Abstimmungsprozesse.

München, 22. Oktober 2024